1. Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

Isabella Gold

1.4. Gewalt in den Neuen Medien

Die Lebenswelt sowie die Wertvorstellungen, Überzeugungen und das Verhalten werden heutzutage von den Neuen Medien stark beeinflusst, dies gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche. Haushalte, in denen Kinder und Jugendliche heute aufwachsen, sind nahezu vollständig mit Computern und Internet ausgestattet.33

Gefährdungspotenziale

Der leichte Zugang zu für Kinder und Jugendliche ungeeigneten und mitunter stark gefährdenden Angeboten in den Neuen Medien ist problematisch (z. B. Gewaltdarstellungen, insbesondere sexualisierte Gewalt, Darstellungen von Autoaggressionen, Verherrlichung von gestörtem Essverhalten und anderen Formen selbstgefährdenden Verhaltens, Persönlichkeitsverletzungen, Missbrauch etc.). Insbesondere über das Internet können Kinder und Jugendliche schnell und mühelos, gewollt und auch ungewollt 34 mit gefährdenden Inhalten in Kontakt kommen. Hier kommt es auch zu sexuellen Belästigungen und Übergriffen bis hin zur Anbahnung eines realen sexuellen Missbrauchs. Eine der perfidesten Formen von Gewaltverherrlichung und des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen stellt die Kinderpornografie dar.

Die schnelle und meist unwiderrufliche Verbreitung von Gewalt über die Neuen Medien ist sehr ernst zu nehmen. Durch ihr Kommunikationsverhalten sind Kinder und Jugendliche zunehmend in die Produktion und Verbreitung problematischer Inhalte eingebunden und werden dabei teilweise selbst zu Aggressoren, die Verleumdungen, Beleidigungen, Rufschädigungen etc. begehen. 35

Mögliche Wirkungen medialer Gewalt

Gewalt in und über die Neuen Medien wird von Kindern und Jugendlichen überwiegend als psychische Gewalt wahrgenommen. 36 Befunde zeigen, dass insbesondere echte, extreme und brutale Gewalt bei Kindern und Jugendlichen starke emotionale Reaktionen (z. B. Ekel, Schock, Alpträume) auslöst und damit zumindest kurzfristig ihr Wohlergehen beeinträchtigen kann. Bestimmte mediale Gewaltdarstellungen können zudem im Einzelfall auch gewaltsteigernde Wirkung haben (siehe hierzu auch Ziffer 1.2.). Gewalt in den Medien kann für Kinder und Jugendliche insbesondere dann gravierende emotionale, psychische und soziale Folgen haben, wenn sie selbst Opfer von verbreiteten Gewaltszenen sind. Insbesondere beim sog. Happy Slapping gehen dabei Gewalt in den Medien (z. B. Prügelvideos) und Gewalt via Medien (durch Weiterverbreitung der Videos wird das Opfer der realen Gewalt sichtbar, kann als Opfer stigmatisiert werden und wird dadurch weiter geschädigt) ineinander über.37

„Happy Slapping“

Beim Happy Slapping werden bekannte oder unbekannte Personen angegriffen, geschlagen und/oder gedemütigt. Dies wird gleichzeitig mit dem Handy gefilmt und anschließend ins Internet gestellt. Der Begriff des „Happy Slapping ist auf zynische Weise verharmlosend“ und „suggeriert, dass es sich bei den gefilmten Gewalttaten aus Sicht des Täters lediglich um lustige Scherze handelt“. In Wirklichkeit handelt es sich um erhebliche Straftaten (z. B. einfache oder gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Freiheitsberaubung oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung).38

Mobbing/Cyber-Mobbing

Ein ernstes und zunehmendes Problem sind Beleidigungen und Mobbing über die Neuen Medien z. B. in Form von abwertenden Kommentaren, Belästigungen, bloßstellenden Videos (sog. Cyber-Mobbing bzw. Cyber-Bullying 39). Dabei kommen die unterschiedlichsten Medien zum Einsatz (z. B. Internet, E-Mails, Soziale Netzwerke, Chats, Videos auf Portalen etc.). Die scheinbare Anonymität des Netzes senkt die Hemmschwelle für Täter. Cyber-Mobbing geht in der Regel von Personen aus dem Umfeld der Opfer aus (z. B. Schule, Wohnviertel, ethnische Community).40

Durch (Cyber-) Mobbing wird die Lebensqualität der Betroffenen maßgeblich beeinträchtigt. Negative Auswirkungen sind dabei auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche festzustellen, insbesondere das psychische und das physische Wohl können erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden (z. B. Konzentrationsschwierigkeiten, schwerwiegende Angststörungen, Depressionen, Suizidgedanken etc.). Vor allem die unbeschränkte Verbreitung in den Neuen Medien und der nicht vorhandene Einfluss hierauf sind für die Betroffenen außerordentlich belastend.41

Gefährdende Kontakte
Cyber-Grooming

In nahezu allen Kommunikationsangeboten moderner Medien (z. B. über Foren, Chat-Räume etc.) besteht das Risiko problematischer bzw. gefährlicher Kontakte. Die größte Gefahr bei der Online-Kommunikation stellen sexuelle Übergriffe dar, die bis zur Anbahnung eines realen sexuellen Missbrauchs gehen können (sog. Cyber- Grooming, siehe auch Ziffer 3.2.2.). Nicht selten suchen z. B. erwachsene „Chatter“ gezielt nach minderjährigen Opfern. Sie geben sich in Chats oder Online-Communitys gegenüber Kindern und Jugendlichen als gleichaltrig aus, um sich so ihr Vertrauen zu erschleichen; meist mit dem Ziel, sich in der realen Welt mit ihnen zu treffen, um sie zu missbrauchen.42

Weiterführende Informationen rund um die Themen Medien, Mediennutzung und Medienerziehung und andere wichtige Bereiche des Jugendschutzes wie Gewaltprävention etc. sind insbesondere unter folgenden Links abrufbar:

  • StMAS: www.was-spielt-mein-kind.de (bayernweite Internetplattform, auf der Informationen und Angebote rund um die Themen Medien, Mediennutzung und Stärkung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen, Eltern, Fachkräften und anderen Multiplikatoren als Navigationsseite gesammelt werden, insbesondere auch weiterführende Links zu Angeboten in Schulen, der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien [BLM], des JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis etc.) sowie www.jugendschutz.bayern.de.
  • StMAS: www.stmas.bayern.de/jugend/gewalt (dort auch Überblick zu Ansprechpartnern und Unterstützungsangeboten zur Gewaltprävention in Bayern sowie weiterführende Links).
  • Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e. V.: www.bayern.jugendschutz.de.
  • www.jugendschutz.net sowie www.chatten-ohne-risiko.net: Wichtige Hinweise zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen und Pornografie, aber auch vor anderen Gefahren im Internet. Weiterführende Informationen, Sicherheitstipps und konkrete Bewertungen einzelner Angebote enthält unter anderem die Broschüre „Chatten ohne Risiko? Sicher kommunizieren in Chat, Messenger und Community“ (www.jugendschutz.net/pdf/chatten_ohne_Risiko.pdf).
  • Verstöße und Übergriffe melden: z. B. bei hotline@jugendschutz.net.
33 Neue Medien wie Computer, Handy, Internet, virtuelle Netzwerke etc. sind längst alltägliche Realität, mit denen Kinder und Jugendliche ganz selbstverständlich aufwachsen. Die aktuellen repräsentativen Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbundes – JIM-Studie 2011 sowie KIM-Studie 2010 zeigen, dass die meisten Kinder und Jugendlichen in Deutschland in ihrem Haushalt Zugang zu den Neuen Medien haben (unter anderem mittlerweile nahezu flächendeckende Ausstattung mit Handys sowie Zugang zum Internet).
34 So gaben in einer deutschen Studie 38 % der befragten Jugendlichen (N = 1700; Altersspanne: 10 – 19 Jahre) an, dass sie im Internet gegen ihren Willen nach sexuellen Themen gefragt wurden, 25 % wurden nach dem eigenen Aussehen bzw. nach eigenen sexuellen Erfahrungen gefragt, 11 % wurden um Nacktfotos gebeten, 5 % erhielten Pornofilme zugeschickt und 8 % wurden vor der Webcam zu sexuellen Handlungen aufgefordert. Siehe hierzu Allroggen/Spröber/Rau/Fegert, Sexuelle Gewalt unter Kindern und Jugendlichen, Ursachen und Folgen, Expertise des Universitätsklinikums Ulm im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, S. 30.
35 Siehe auch Volpers in Medien – Ethik – Gewalt, 72 f.
36 Grimm in Medien – Ethik – Gewalt, S. 16
37 Grimm in Medien – Ethik – Gewalt, S. 19 ff., 21 f.
38 DJI, Thema 2007/08: Tatort Internet – Sexuelle Gewalt in den neuen Medien, www.dji.de/cgi-bin/projekte/output.php?projekt=752&Jump1=LINKS&Jump2=40. Ausführliche Informationen zur Thematik und dem richtigen Umgang hiermit gibt die Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e. V., siehe hierzu www.bayern.jugendschutz.de sowie insbesondere www.bayern.jugendschutz.de/kinderundinternet/detail.aspx?a=Risiko-Web-2.0&rid=71&ID=3858.
39 Zu den Begrifflichkeiten siehe Fn. 22. Cyber-Mobbing und Cyber-Bullying werden im Leitfaden als synonyme Begriffe verwendet.
40 Siehe hierzu sowie weitere Informationen: www.klicksafe.de/themen/kommunizieren/cyber-mobbing; ferner JIM-Studie 2011, S. 39 und 60 ff. sowie Hassemer/Höhler in pro Jugend der Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e. V., „Generation Web 2.0 – Herausforderungen für den Jugendschutz“, Nr. 2/2009, S. 16 ff.
41 Grimm sowie Kolodej in Medien – Ethik – Gewalt, S. 27 bzw. S. 95 ff.
42 Siehe hierzu www.klicksafe.de/themen/kommunizieren/cyber-mobbing/cyber-mobbing-was-ist-das sowie Knierim in pro Jugend der Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e. V.; Ausgabe Nr. 4/2010 „Da hat sich was verändert… Jugend, Medien, Pornografie“; S. 9 ff., ferner jugendschutz.net, Broschüre „Chatten ohne Risiko“, S. 8 ff. sowie unter www.jugendschutz.net.