2. Erkennen und Handeln
    – Kinderschutz braucht starke Netze

2.5. Polizei und Justiz

Wichtige Ansprechpartner für Ärztinnen und Ärzte bei Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sind neben den Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe auch Polizei und Justiz (insbesondere Staatsanwaltschaft, Familienrichter).

Legalitätsprinzip

Wenn die Strafverfolgungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaft) Kenntnis von Umständen erlangen, die auf das Vorliegen einer Straftat hindeuten, sind sie verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten (eine Ausnahme besteht lediglich bei den Delikten, bei denen zusätzlich ein Strafantrag des Geschädigten erforderlich ist). Ergibt sich ein so starker Verdacht, dass eine Verurteilung des Beschuldigten überwiegend wahrscheinlich ist, muss die Staatsanwaltschaft Anklage erheben. Eine Einstellung – insbesondere gegen Auflage – ist dann nur unter engen Voraussetzungen denkbar, die in Fällen der vorliegenden Art nur selten gegeben sein werden.

§    § 152 StPO:

(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen.

(2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

Aufgaben der Polizei

Originäre Aufgabe der Polizei ist die Abwehr konkreter Gefahren, das heißt in erster Linie der Schutz des Opfers vor weiteren Gewalttaten sowie die Gewährleistung einer umfassenden Strafverfolgung. Hierzu ergreift die Polizei verschiedene Maßnahmen, die sie zur Gefahrenabwehr auf das Polizeiaufgabengesetz (PAG) begründet. Zur Strafverfolgung ergeben sich die Befugnisse der Polizei aus der Strafprozessordnung (StPO).

Ansprechpartner
bei der Polizei

Ansprechpartner bei der Polizei sind grundsätzlich alle Polizeidienststellen. Diese sind über Notruf 110 Tag und Nacht erreichbar. Die jeweilige Polizeidienststelle vor Ort ist unter anderem im Internet zu finden unter www.polizei.bayern.de.

Grundsätzlich sind alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in Bayern entsprechend geschult, um professionell und sensibel auf die jeweils vorgefundene Situation und das Opfer einzugehen.

Beauftragte der Polizei
für Frauen und Kinder

Als konkrete Ansprechpartner sind im Besonderen die bei den einzelnen Polizeipräsidien angesiedelten „Beauftragten der Polizei für Frauen und Kinder“ (BPFK) zu nennen, deren primäre Aufgabe die Beratung und Unterstützung von Opfern von Gewalttaten im sozialen Nahraum (Gewalt in Familie, Partnerschaft, familienähnlichen Beziehungen und in Trennungssituationen), von Stalking sowie von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist, durch die Frauen oder Kinder gefährdet oder bereits verletzt worden sind. Die BPFK werden dabei in allen Polizeipräsidien durch örtliche Ansprechpartner bei den Kriminalpolizeiinspektionen unterstützt.

Im Rahmen polizeilicher (Opfer-) Beratung informiert die Polizei unter Beachtung der psychischen Situation des Opfers unter anderem über den Ablauf eines Ermittlungsverfahrens, über Straftatbestände, über die Rechte von Opfern und Zeugen im Strafverfahren, über zivilrechtliche Möglichkeiten sowie über die jeweils regional vorhandenen Hilfsangebote (Opfer- bzw. Hilfseinrichtungen, Anlaufstellen für Opfer, behördliche Institutionen etc.). Dabei ist die Polizei dem Legalitätsprinzip verpflichtet und muss daher bei bekannt gewordenen Straftaten die Verfolgung von Amts wegen einleiten. Eine anonyme Beratung ist daher nicht möglich.

! Hinweis:

Weiterführende Informationen, insbesondere zu Aufgaben und Erreichbarkeiten der BPFK, sind auf folgenden Internetseiten zu finden:

www.polizei.bayern.de/schuetzenvorbeugen/beratung/frauenundkinder

www.polizei-beratung.de.

Aufgaben der
Staatsanwaltschaft

Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist die Strafverfolgung. Sie leitet das Ermittlungsverfahren und entscheidet nach Abschluss der Ermittlungen, ob und gegebenenfalls wegen welcher Vorwürfe Anklage erhoben wird. Dabei ermittelt sie den Sachverhalt umfassend von Amts wegen und geht allen für und gegen den Beschuldigten sprechenden Anhaltspunkten nach. In der Hauptverhandlung vor dem Gericht wirkt sie durch ergänzende Befragung der Zeugen und durch Stellung der Schlussanträge mit.

Ansprechpartner bei
der Staatsanwaltschaft

Bei den Generalstaatsanwaltschaften gibt es Ansprechpartner für Fälle der sexuellen Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen. Sie sind zu finden über: www.justiz.bayern.de/service/opferschutz/ansprechpartner-sexueller-missbrauch.

Sie stehen als erste Ansprechpartner für Opfer und deren Angehörige zur Verfügung, aber auch für Schulen, Einrichtungen und Institutionen, soweit es um Fragen im Zusammenhang mit der Strafverfolgung bei Verdachtsfällen von Sexualdelikten an Kindern und Jugendlichen geht. Die Ansprechpartner informieren unter anderem über allgemeine Fragen der Strafverfolgung wie etwa Möglichkeiten und Folgen einer Strafanzeige, Ablauf des Ermittlungs- und Strafverfahrens sowie über Opferschutzrechte.

Vernehmung
minderjähriger Opfer

Die Justiz ist sich der besonderen Situation, in der sich Opfer von Misshandlungen befinden, bewusst und bemüht sich, die Belastungen zu vermindern. Vernehmungen kindlicher Zeugen werden bei der Polizei von besonders geschulten Personen in kindgerechter Atmosphäre durchgeführt.

Zahlreiche Maßnahmen zielen darauf ab, die Zahl der Vernehmungen so weit wie möglich zu verringern. So können Vernehmungen auf Videofilm aufgenommen und später abgespielt werden. Die Staatsanwaltschaft kann Anklage zum Landgericht erheben, um zu vermeiden, dass im Laufe des Instanzenwegs weitere Vernehmungen erforderlich werden. Würde ein unmittelbares Aufeinandertreffen von Täter und Opfer schwerwiegende psychische Folgen haben, kann eine Befragung in der Hauptverhandlung durch eine simultane Bild-Ton-Übertragung erfolgen, bei der das Opfer sich in einem anderen Raum befindet.

An allen bayerischen Gerichten sind Zeugenbetreuungsstellen eingerichtet, die den Opfern helfend und beratend zur Seite stehen.

Verjährungsfristen

Straftaten können nach Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden (Verfahrenshindernis). Bei sexuellem Missbrauch von Kindern beträgt die Verjährungsfrist 10 Jahre, bei schwerem sexuellem Missbrauch 20 Jahre. Die Verjährung beginnt in Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern oder bei Missbrauch von Schutzbefohlenen frühestens mit der Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers zu laufen. Bayern setzt sich auf Bundesebene insbesondere für ein längeres Ruhen der Verjährung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs sowie für weitere Verbesserungen ein. Die Verjährung wird durch bestimmte Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft unterbrochen, sodass sie dann von Neuem zu laufen beginnt.

! Hinweis:

Verbesserungen im Bereich der Opferberatung sowie der Verlängerung der Verjährungsfristen sind im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG), der sich im laufenden Gesetzgebungsverfahren befindet, geplant (siehe BT-Drs. 17/6261). Soweit Änderungen erfolgen, werden hierzu Informationen auf der Internetversion eingestellt.

Opfervertretungen

Minderjährige Gewaltopfer haben Anspruch auf Bestellung eines Opferanwalts auf Staatskosten, der sie während der Verhandlung begleitet und ihre Interessen vertritt. Sonstige Betreuung bieten die Opferhilfeverbände an.

! Hinweis:

Opfer von Gewalttaten haben möglicherweise auch Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Für den Vollzug des OEG sind in Bayern in erster Linie die Regionalstellen des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS) zuständig. Diese bieten auch eine Sonderbetreuung durch besonders geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, die die Opfer von Gewalttaten sowie deren Angehörige umfassend über alle im Einzelfall möglichen Hilfen informieren und beraten (zu weiteren Informationen siehe www.zbfs.bayern.de/oeg/oeg-broschuere). Das ZBFS hat für Kinder und Jugendliche, die Opfer von Gewalttaten geworden sind, ferner Traumaambulanzen in Zusammenarbeit mit psychiatrischen Kliniken in ganz Bayern eingerichtet (vergleiche Leitfaden 2009 ZBFS, www.zbfs.bayern.de/imperia/md/content/blvf/oeg/leitfaden_traumaambulanz.pdf).

Aufgaben des Familiengerichts
beim Kinderschutz

Bei Gefährdungen des Kindeswohls hat das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden (§ 1666 BGB). Das Gericht arbeitet dabei eng mit dem Jugendamt zusammen. Das Jugendamt muss das Gericht einschalten, wenn es sein Tätigwerden für erforderlich hält, weil die Eltern – verschuldet oder unverschuldet – nicht ausreichend bei der Sicherstellung des Kindeswohls mitwirken (siehe auch Ziffer 2.4.3.). Kommt es zu einem familiengerichtlichen Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung, hat das Gericht das Jugendamt anzuhören.

Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls sind zum Beispiel das Gebot, öffentliche Hilfen (etwa Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe oder der Gesundheitsfürsorge) in Anspruch zu nehmen, das Gebot, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen, oder – als ultima ratio – die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.