4. Fallmanagement in Arztpraxen und Kliniken

Nikolaus Weissenrieder, Hermann Gloning, Thomas Fels

! Hinweis:

Zum konkreten Fallmanagement im Einzelnen siehe auch Kapitel 4, zu den Rahmenbedingungen und Voraussetzungen interdisziplinärer Zusammenarbeit siehe insbesondere Kapitel 2.

4.1. Festlegung von Ansprechpartnern und Vereinbarung eines verbindlichen Kommunikations- und Kooperationsrahmens vor Ort

Institutionalisierte und verbindliche
Kooperations- und Verfahrensabsprachen

Damit Familien möglichst rechtzeitig unterstützt werden können und das Kindeswohl umfassend sichergestellt werden kann, sind institutionalisierte, personenunabhängige und verbindliche Kooperations- und Verfahrensabsprachen zwischen den unterschiedlichen Hilfesystemen und Professionen erforderlich (siehe hierzu ausführlich Kapitel 2, insbesondere Ziffer 2.2.). Diese bieten die Grundlage für eine vertrauensvolle und enge Kooperation der Fachkräfte des Gesundheitsbereiches mit den Fachkräften des Jugendamtes und ggf. anderer Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe. Der Aufbau einer tragfähigen Zusammenarbeit soll frühzeitig erfolgen, damit die Grundlagen schon geschaffen sind, bevor sie sich am Einzelfall bewähren müssen. Die Steuerungs-, Planungs- und Gesamtverantwortung in der Kinder- und Jugendhilfe liegt bei den Jugendämtern (zu Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten der Kinder- und Jugendhilfe siehe Ziffer 2.4.). Vorrangiges Ziel aller Interventionen ist die frühzeitige und effektive Hilfe, um das Wohl des Kindes bzw. Jugendlichen sicherzustellen. Grundlegende Absprachen und Abläufe sollten in einer gemeinsamen Vereinbarung schriftlich niedergelegt sein.

Kontaktaufnahme und Kennenlernen

Durch frühzeitige persönliche Kontaktaufnahme der im Kinderschutz kooperierenden Stellen (unabhängig von einem konkreten Fall) können eine Vertrauensbasis geschaffen sowie Vorurteile und Fehleinschätzungen abgebaut werden.

Ziel der Kontaktaufnahme ist insbesondere die Information über das Unterstützungsangebot für Kinder, Jugendliche und Familien sowie über die Handlungsmöglichkeiten und die Grenzen der Kooperationspartner. Darüber hinaus bietet ein persönliches Gespräch die Möglichkeit, gegenseitige Erwartungen hinsichtlich der jeweiligen Aufgabenerfüllung auf ihre Richtigkeit und Umsetzbarkeit zu überprüfen und zu einer gemeinsamen Problemsicht und Sprache zu gelangen. Klare Absprachen über die Zusammenarbeit der Arztpraxen bzw. Kliniken mit den Jugendämtern und anderen Diensten und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie weiteren Stellen (z. B. Polizei) können so frühzeitig getroffen werden.

Einen Rahmen zum Aufbau entsprechender Kontakte bieten insbesondere:

  • Im Bereich des Präventiven Kinderschutzes die KoKi-Netzwerke frühe Kindheit (siehe hierzu Ziffer 2.4.2.).
  • Regionale Qualitätszirkel/Fachforen, die sich mit dem Thema Kinderschutz, Gewalt und Vernetzung befassen. Diese bieten z. B. neben der Gelegenheit zum besseren gegenseitigen Kennenlernen insbesondere die Möglichkeit zum Austausch von Informationen und Erfahrungen; Einzelfälle können hier anonymisiert erörtert, Verfahren zur Optimierung der gemeinsamen Fallarbeit entwickelt und gemeinsame Standards erarbeitet werden (siehe hierzu insbesondere Ziffern 2.2.2. sowie 2.2.4.).
  • Arbeitstreffen mit Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe (z. B. Jugendamt, Erziehungsberatungsstellen, Schreibabyambulanzen etc.).
  • Einladung der zuständigen KoKi-Fachkraft in die Arztpraxis bzw. Geburts- und Kinderkliniken.
Wissen um Kooperationspartner
und ihre Angebote

Die Empfehlung an die Eltern, eine bestimmte Institution aufzusuchen, muss überzeugend sein. Das konkrete Wissen um Kooperationspartner und ihre Angebote ermöglicht eine solche überzeugende Empfehlung. Für Familien, Kinder und Jugendliche muss deutlich sein, dass dort eine konkrete und passgenaue Hilfe erwartet werden kann („Mit Frau … vom Jugendamt können Sie über das Problem reden, sie wird Ihnen helfen können.“). Daher ist es das Beste, wenn man Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der empfohlenen Einrichtung besitzt. In Fällen sexueller Gewalt muss in jedem Fall Beratung durch Fachleute vermittelt werden.

Vorhandene Info-Flyer des Jugendamtes und anderer Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere der Erziehungsberatungsstellen sowie der spezialisierten Beratungsstellen, sollten in der Arztpraxis bzw. Klinik bekannt sein und dort auch ausgelegt werden. Auch Hinweise auf Ratgeber im Internet (z. B. virtuelle Beratungsstelle www.bke-beratung.de und www.elternimnetz.de) bieten sich hier an.

Zu den Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe siehe Ziffer 2.4., zu konkreten Ansprechpartnern und Adressen siehe Überblick bei Kapitel 6.

Benennung von Ansprechpartnern
im Jugendamt vor Ort

Wichtigster Ansprechpartner zur Gefährdungseinschätzung bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung ist das Jugendamt (Jugendamtsleitung sowie Fachkräfte der Bezirkssozialarbeit bzw. des Allgemeines Sozialdienstes, siehe hierzu im Einzelnen Ziffern 2.3.3., 2.3.4. sowie 2.2.). Um die Kooperation verbindlich und reibungslos zu gestalten, bestimmen die Jugendämter Ansprechpartner für die jeweilige Arztpraxis bzw. Klinik und teilen dieser die entsprechenden Informationen mit (Name, Vertretung, Erreichbarkeit – insbesondere auch für Nacht- und Wochenendzeiten etc.; siehe hierzu auch Ziffern 2.2.2. und 2.4.1.). Ansprechpartner im Jugendamt sind im Bereich des Präventiven Kinderschutzes die KoKi-Fachkräfte (siehe Ziffer 2.4.2.).