2. Erkennen und Handeln
– Kinderschutz braucht starke Netze
Zielsetzung des Leitfadens
Die optimale Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien sowie die Gewährleistung eines effektiven Kinderschutzes können nur in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung gelingen. Alle Professionen und Fachkräfte, die unmittelbar mit Kindern, Jugendlichen und Familien zu tun haben, sowie jeder Einzelne sind gefragt, Signale familiärer Überforderungssituationen bzw. Anzeichen von Kindeswohlgefährdungen frühzeitig zu erkennen und angemessen zu handeln. Ziel des Leitfadens ist es, speziell für Ärztinnen und Ärzte konkrete Hilfestellungen hierfür zu geben.
2.1. Elementare Handlungsgrundsätze
Spannungsverhältnis Elternrecht – Kinderrecht
Die elementaren Handlungsgrundsätze zur Sicherstellung eines effektiven Kinderschutzes sind in Art. 6 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich verankert: „Pflege und Erziehung von Kindern sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“ (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, staatliches Wächteramt). Daraus ergeben sich folgende elementare Handlungsgrundsätze, die auch in zahlreichen gesetzlichen Regelungen fixiert sind (z. B. §§ 1, 8a SGB VIII; § 1666 BGB, Art. 14 Abs. 3 und 6 GDVG):
Stärkung elterlicher Kompetenzen
Die grundsätzlich vorrangige elterliche Verantwortung bei der Erziehung ihrer Kinder ist zu beachten. Das Elternrecht ist im Wesentlichen ein Recht im Interesse des Kindes und soll dem Wohl des Kindes dienen. Eltern müssen dabei unterstützt werden, dieser Verantwortung gerade auch in Belastungssituationen gerecht zu werden. Durch möglichst frühzeitige Stärkung elterlicher Erziehungskompetenzen wird eine positive, gesunde Entwicklung der Kinder und deren Wohl am nachhaltigsten sichergestellt (zum Präventiven Kinderschutz siehe Ziffer 2.4.2.).
Staatliches Wächteramt
Das Elternrecht endet dort, wo diese das Kindeswohl gefährden oder nicht in der Lage sind, das Kindeswohl sicherzustellen. Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen bedarf es deshalb zugleich der effektiven Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes. Ist zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung Hilfe erforderlich und können oder wollen Eltern dabei nicht ausreichend mitwirken, ist konsequentes Handeln, gegebenenfalls auch gegen den Willen der Eltern, erforderlich (siehe auch § 1666 BGB, sowie insbesondere Ziffern 2.3.4. und 2.4.3.).