Klinik

Meist sind Säuglinge im Alter von 2 - 5 Monaten betroffen, dies entspricht dem „Hauptschreialter“. Die Symptome können je nach Ausmaß der Schädigung des Gehirnes variieren. Sie reichen von Trinkunlust, Erbrechen und vermeintlichen Magen-Darm-Infekten (30 % der Fälle werden medizinisch fehldiagnostiziert!) bis hin zu Irritabilität, Muskelhypotonie, Blässe, schrillem Schreien, zerebralen Krampfanfällen, Apnoen, Bradykardien, Somnolenz, Koma oder dem fast unmittelbaren Tod. Äußerliche Verletzungen fehlen oft völlig oder sind nur gering ausgeprägt.

Differentialdiagnosen

Theoretisch denkbare, insofern ggf. abklärungspflichtige andere Ursachen als traumatische sind z. B. geburtsbedingte Blutungen, Hirngefässaneurysmen, Gerinnungsstörungen, eine Stoffwechselstörung (insbes. eine Glutaracidurie Typ I) oder eine Herpesvirus-Encephalitis (Subdurale Blutungen werden auch bei akzidentellen Traumata gesehen, dann aber in aller Regel ohne begleitende retinale Blutungen. Stürze aus geringer Höhe (von Couch, Stuhl, Wickeltisch oder ähnlichem) sind als Ursache relevanter intrakranieller Blutungen im Regelfall auszuschließen.

Retinablutungen

Retinale Blutungen werden in etwa 65 bis 95 % der Schütteltraumata gesehen. Sie werden als dot-, blot- oder flame-like beschrieben, können einseitig oder beidseitig ausgeprägt sein, liegen meist in mehreren Schichten und in großer Anzahl vor. Sie sind per se unspezifisch, erhalten jedoch pathognomonische Bedeutung, wenn sie zusätzlich bis in die mindestens mittlere Peripherie der Retina vorliegen, und/ oder Glaskörperblutungen, Netzhautfalten oder auch eine Retinoschisis vorhanden sind.

Retinale Blutungen werden in etwa 65 – 95 % der Schütteltraumata gesehen.

Retinale Blutungen werden nur in Ausnahmefällen bei „leichteren" Unfällen und selbst bei schweren Verkehrsunfällen nur unregelmäßig beobachtet. Differentialdiagnostisch sind ggf. nicht-traumatische Ursachen wie z. B. Gerinnungsstörungen, Leukosen, Kohlenmonoxidvergiftungen oder schwere Encephalitiden auszuschließen. Allerdings sind bei allen derartigen Ursachen, ebenso wie bei Unfällen, die Blutungen weniger zahlreich und von anderer Morphologie als bei Schütteltraumen. Zusätzliche Glaskörperblutungen ebenso wie nicht-hämorrhagische Verletzungen (wie z. B. Netzhautfalten und traumatische Ablösung der Netzhaut) sind hochcharakteristisch für ein Schütteltrauma.

Eine ausführliche Befundung und Dokumentation ist zwingend durch eine Augenärztin oder einen Augenarzt notwendig (Abbildung 15). Diese Untersuchung sollte so früh wie möglich erfolgen!
Blutungen entlang der Sehnerven sprechen bereits per se stark für ein Schütteltrauma, weil Blutungen an dieser Lokalisation durch die übrigen erwähnten alternativen Ursachen nicht begründbar sind.

Abbildung 15: Ausgedehnte retinale Blutungen in mehreren Schichten nach Schütteltrauma
Abbildung 15: Ausgedehnte retinale Blutungen in mehreren Schichten nach Schütteltrauma

Der Terminus „(Whiplash) Shaken Baby Syndrome" (SBS) beschreibt eine Konstellation klinischer Befunde mit
a) retinalen Blutungen,
b) subduralen und/ oder subarachnoidalen Blutungen und
c) schwerer neurologischer Symptomatik trotz geringem/ fehlendem externem Trauma.
Oft herangezogene Erklärungen wie Stürze mit geringer Fallhöhe, Krampfanfälle, eine Impfung, Reanimationsmaßnahmen o. ä. sind hier als alternative Ursache ausschließbar.

Tabelle 5: Differentialdiagnosen bei subduralen Hämatomen und deren intrakranielle/ intracerebrale Verteilung

In der Literatur angegebene Differentialdiagnose der Ursachen von subduralen Hämatomen und dabei beobachtete intrakranielle/ Intracerebrale Verteilung:

Schädel-Hirn-Trauma, z. B. Schütteltrauma (SBS) ein- oder beidseitiges Auftreten überwiegend entlang der Falx, evtl. Fortleiten der Blutung in den Interhemisphärenspalt und auf das Tentorium
 
Geburtstraumatisch bedingte Blutung überwiegend occipital bzw. supracerebellär; i.d.R. nach 4 Wochen folgenlos abgeheilt; keine Neurologie (ROOKS et al., 2008)
 
Gefäßanomalien/ -aneurysmen überwiegend basal, entlang der Hirngrundgefäße; Kontrastmitteluntersuchung notwendig
 
Gerinnungsstörungen ubiquitär, damit auch zusätzlich extrakranielle Blutungen; Abklärung über laborchemische Untersuchungen
 
Glutarazidurie Typ I Flüssigkeitsansammlungen frontal und vor allem temporal, Schädigung der Nuclei caudati und Globi pallidi; chronisch subdurale Hämatome/ Hygrome; schweres neurologisches Krankheitsbild; vom SBS bei ausführlicher klinischer, laborchemischer und neuroradiologischer Untersuchungen gut abgrenzbar (HOFFMANN, 1997)
 
Herpesvirusenzephalitis HHV 1: akute hämorrhagische Enzephalitis vorwiegend entlang des limbischen Systems im Temporalhirn, später Auftreten von Blutungen und Enzephalomalazie; selten HHV 6: Nachweisbarkeit bisher im Frontallappen, Pons und Thalamus, keine subdurale Blutungen beschrieben (OSBORN et al., 2002; Kleinschmidt-DeMasters et al., 2001; Ahtiluoto et al., 2008)